Kirche im Gefängnis

Die Gefangenen zu besuchen,
ist zentraler biblischer Auftrag.
(siehe z.B. Matthäus-Evangelium, Kap.25)




Pfarrerinnen und Pfarrer sowie die Diakone der Gefängnisseelsorge tragen das Evangelium mit Wort und Tat in die Gefängnisse. Sie halten in den Justizvollzugsanstalten Gottesdienste und Andachten und sind für die Gefangenen jederzeit Gesprächspartner und Helfer.
Ihre besondere Stellung erlaubt es, tragfähige und dauerhafte Beziehungen zu Gefangenen einzugehen, zumal zu solchen mit langen Freiheitsstrafen. Vielen Gefangenen sind solche Vertrauensbeziehungen ihr Leben lang fremd geblieben.

Gefängnisseelsorger/innen kümmern sich auch um Angehörige und stehen den Bediensteten der Anstalt als Gesprächspartner zur Verfügung. Sie gehören auch als ständige Mitarbeiter/innen der Berliner oder Brandenburger Justizvollzugsanstalten nicht zum Justiz-Personal, sondern  stehen im kirchlichen Dienst. Aus dieser wichtigen „neutralen Position” heraus können sie häufig das Misstrauen zwischen Gefangenen und Gefängnispersonal überbrücken und auch Spannungen zwischen Gefangenen abbauen.



Das Beichtgeheimnis ermöglicht Vertrauen

Dass auch Gefangene ein Recht auf Seelsorge haben und dass sie in den Justizvollzugsanstalten frei ausgeübt werden kann, ist im Grundgesetz garantiert.

Die Gefängnisseelsorge ist jedoch nicht vollständig in das Regelwerk des Strafvollzuges integriert. Seelsorger und Seelsorgehelfer sind in Berlin und Brandenburg keiner staatlichen Disziplinargewalt unterworfen.

Wenn Gefangene ihnen etwas anvertrauen, können sie  sich darauf verlassen, dass sie zur Verschwiegenheit verpflichtet und an das Beichtgeheimnis gebunden sind. Gerade hier kann die Gefängnisseelsorge wegen ihrer Unabhängigkeit die Freiheit des Evangeliums sichtbar machen.

Wichtig ist, dass nicht nur das kirchliche Dienstrecht zur seelsorgerlichen Verschwiegenheit und zur Wahrung des Beichtgeheimnisses verpflichtet, sondern das staatliche Recht in § 53 der Strafprozessordnung den Geistlichen ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht gibt. Dieses Recht bezieht sich nach dem Gesetz auf alles, „was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden ist”.

Dadurch wird der Zugang des Seelsorgers / der Seelsorgerin zu den Gefangenen erleichtert und die Möglichkeit zu einem vertrauensvollen Gespräch mit ihnen ist im Rahmen des Strafvollzugs von außerordentlicher Bedeutung. Gefangene dürfen Seelsorger/innen als unabhängige Gesprächspartner einschätzen und brauchen nicht zu befürchten, dass das, was sie ihnen sagen, bei Entscheidungen über Vollzugslockerungen und die Aussetzung eines Strafrestes zu ihrem Nachteil verwertet wird. Ihr Zeugnisverweigerungsrecht haben Geistliche auch, wenn sie in der Untersuchungshaft tätig sind, für die ansonsten andere Vorschriften gelten als im Strafvollzug.



Die feinen Unterschiede

In den Justizvollzugsanstalten werden Freiheitsstrafen vollstreckt. Auch wenn die wirklich zu verbüßende Freiheitsstrafe nur etwa 5-6% aller von deutschen Gerichten zu einer Strafe Verurteilten trifft, so befinden sich doch zur Zeit etwa 80.000 Gefangene in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik. In dieser Zahl enthalten sind außer den Strafgefangenen auch die Untersuchungsgefangenen, die Sicherungsverwahrten und die Inhaftierten, die ihre Geldstrafe nicht bezahlt haben und deshalb Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.

Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe soll einen gravierenden, schuldhaften Gesetzesverstoß signalisieren. Die Strafe, auch wenn sie in vielen Fällen zunächst zur Bewährung ausgesetzt wird, soll dazu beitragen, dass die grundlegenden Normen des Zusammenlebens ernst genommen und befolgt werden. Ihre Vollstreckung setzt den staatlichen Strafanspruch durch.

Deshalb heißt es beispielsweise in § 2 Satz 2 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Berlin (Berliner Strafvollzugsgesetz – StVollzG Bln) vom 4. April 2016: Er (der Strafvollzug) hat die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Hierbei ist auch an Maßnahmen gedacht, die verhindern, dass sich der Verurteilte der Strafvollstreckung entzieht.

Diese Zweckbestimmungen unterscheiden sich durchaus von der Aufgabe der Seelsorger, den Gefangenen das befreiende Evangelium von der Menschenliebe Gottes und der Vergebung der Sünden nahe zu bringen, ihnen die biblischen Weisungen zu erklären und den eingesperrten Menschen als Gesprächspartner und Helfer nahe zu sein.

Berührungspunkte zwischen den Aufgaben des Strafvollzugs und der Seelsorge ergeben sich dagegen bei der gesetzlichen Bestimmung des Vollzugszieles (§ 2 Satz 1 StVollzG Bln): „Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.”

Dies ist die wichtigste Orientierung des Strafvollzuges und die Zeit des Freiheitsentzuges soll dazu genutzt werden, auf dieses Vollzugsziel hinzuarbeiten: Der Gefangene soll berufliche und (lebens-)praktische Fähigkeiten erwerben, das Zusammenleben mit anderen üben und, soweit es notwendig ist, eine geeignete Therapie erhalten.

Nicht Vergeltung oder Abschreckung, sondern die Integration in die Gesellschaft ist nach dem Strafvollzugsgesetz die Leitlinie für den Strafvollzug. So hatte es das bundeseinheitliche Strafvollzugsgesetz von 1976 in § 3 Absatz 3 formuliert.

An diesem Grundsatz hat sich im Prinzip auch nichts geändert als im Jahr 2006 die Gesetzgebungszuständigkeit für den Straf- und Untersuchungshaftvollzug auf die Bundesländer überging und in der Folge die Bundesländer je eigene Gesetze erlassen haben.

Im StVollzG Bln ist in § 3 (Grundsatze der Vollzugsgestaltung) nun u.a. bestimmt:

(1) Der Vollzug ist auf die Auseinandersetzung der Gefangenen mit ihren Straftaten und deren Folgen auszurichten.
(2) Der Vollzug wirkt von Beginn an auf die Eingliederung der Gefangenen in das Leben in Freiheit hin.
(3) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.
(4) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.
(5) Der Bezug der Gefangenen zum gesellschaftlichen Leben ist zu wahren und zu fördern. Personen und Einrichtungen außerhalb des Vollzugs sollen in den Vollzugsalltag einbezogen werden. Den Gefangenen ist sobald wie möglich die Teilnahme am Leben in der Freiheit zu gewähren.

Öl oder Sand im Getriebe der totalen Institution?

Auch wenn die Wirklichkeit des Strafvollzugs den genannten Maßstäben nicht immer gerecht wird, so ist doch ein Rahmen gesetzt, in dem die Freiheit der Verkündigung des Evangeliums gewährleistet ist und die Zuwendung des Seelsorgers / der Seelsorgerin zu den Gefangenen nicht behindert werden darf.

Es liegt in der Natur des Gefängnisses, in dem Kontrolle und Fremdbestimmung den Alltag prägen, dass es dennoch immer wieder zu Konflikten kommt. Andererseits gibt es durchaus manche Konfliktsituationen, in denen der Strafvollzug die Vermittlung durch die Seelsorge gern in Anspruch nimmt. In welchem Maße die Mitarbeiter/innen der  Seelsorge ihr Verhältnis zu den Vollzugsbediensteten mehr als kritisch beobachtende Begleitung oder als partnerschaftliche Zusammenarbeit auffassen, hängt von den jeweiligen Umständen vor Ort ab.

Ökumene im Gefängnis

Gefängnisseelsorge ist heute ökumenische und vielfach auch interkulturelle Arbeit. Evangelische Seelsorger/innen arbeiten überwiegend eng zusammen mit der katholischen Anstaltsseelsorge und mit Geistlichen anderer Konfessionen und Religionen. Auch die vielen Gefangenen, die keiner christlichen Kirche angehören, erfahren – ihr Einverständnis vorausgesetzt – die Zuwendung der evangelischen Gefängnisseelsorge.

Der Maßregelvollzug als eigenständiger Bereich

Für den Vollzug der von einem Strafgericht angeordneten Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt nach §§ 63 und 64 StGB enthält das Strafvollzugsgesetz nur einige wenige allgemeine Vorschriften.

Aufsichtsbehörde für den Vollzug dieser Maßregeln ist in Berlin und Brandenburg wie in den meisten anderen Bundesländern die Gesundheitsverwaltung; die genannten Anstalten des Maßregelvollzuges sind keine Justizvollzugsanstalten.

Während die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten ein eigener kirchlicher Arbeitszweig ist, ist in Berlin und Brandenburg die Seelsorge im Maßregelvollzug der Krankenhausseelsorge aufgetragen.

Einige statistische Angaben*

Was die relative Höhe der Gefangenenzahlen (Gefangene je 100 000 Einwohner) angeht, so nimmt Deutschland im internationalen Vergleich eine Mittelstellung ein. Weniger Gefangene weisen insbesondere die skandinavischen Länder sowie die Schweiz und Japan auf; in Großbritannien, Polen und den baltischen Staaten ist die Zahl höher als bei uns, in Frankreich und den Niederlanden ungefähr gleich hoch. Weitaus am höchsten ist die relative Zahl der Gefangenen in China, in den Vereinigten Staaten und in Russland.

Der Anteil der Untersuchungsgefangenen an der Gesamtzahl der Gefangenen ist in Deutschland niedriger als in Italien oder Frankreich. Die Zahl der Sicherungsverwahrten, die in den letzten Jahren gestiegen ist, liegt in der Bundesrepublik derzeit bei 570. Eine Ersatzfreiheitsstrafe wird in der Bundesrepublik zur Zeit bei fast 5000 Personen vollstreckt. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung und der Ersatzfreiheitsstrafe wirft in der Praxis große Probleme auf.

In Berlin befinden sich zur Zeit ungefähr 4000 Personen in Justizvollzugsanstalten, davon etwa 800 in Untersuchungshaft, etwa 50 in der Sicherungsverwahrung und etwa 300 im Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe. Etwa 5 % der Berliner Gefangenen sind Frauen.
Die Zahl der selbständigen Berliner Justizvollzugsanstalten beträgt 8. Einigen von ihnen sind räumlich getrennte Strafvollzugseinrichtungen zugeordnet, so dass die Zahl der seelsorgerlich zu betreuenden Standorte wesentlich größer ist.

Im Land Brandenburg beträgt die Gesamtzahl der Gefangenen in Justizvollzugsanstalten derzeit rund 1300; davon sind etwa 200 Untersuchungsgefangene. Sie sind auf 6 Justizvollzugsanstalten verteilt. Die Gesamtzahl der weiblichen Gefangenen liegt bei etwa 40. Für den brandenburgischen Maßregelvollzug liegen uns keine Zahlen vor.

* (die hier genannten Zahlen sind im Februar 2020 erhoben worden und unterliegen naturgemäß Schwankungen und Veränderungen, die wir hier nicht immer zeitnah aktualisieren können.)







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